Schutzdienstausbildung über den
Beutetrieb
Der Wolf muss seine Beute
suchen, erjagen und erkämpfen.
Er bekommt nichts „umsonst",
sondern muss harte Arbeit dafür
leisten, bevor er zu seinem Ziel
kommt. Unser Belgier braucht und
darf das nicht mehr. Er bekommt
von uns die Futterschüssel vor
die Nase gesetzt, wird gehegt
und gepflegt. Trotzdem oder
gerade deshalb gibt es immer
wieder Hunde, die wildern,
jagen, sich aggressiv verhalten
oder sonst irgendwie unerwünscht
„Dampf" ablassen. Das ist auch
nicht verwunderlich, denn was
seit Jahrtausenden in den Genen
verankert ist, das lässt sich
nicht innerhalb weniger
Jahrzehnte abschaffen.
Aggression gehört zum
natürlichen Verhaltensinventar
eines jeden Tieres sowie auch zu
einem jedem Menschen!
Wird der Beutetrieb geweckt,
wird die Verhaltenskette des
Jagdverhaltens aktiviert:
Anschleichen – lauern –
verfolgen – anspringen –
totschütteln - wegtragen. Das
sind Verhaltensweisen, wie sie
auch im so genannten
Schutzdienst vorkommen. Beim
Schutzdienst werden, genau wie
im Spielverhalten, einzelne
Szenen aus dem Jagdverhalten
eingebracht und geübt.
Ausschlaggebend für das Arbeiten
im Schutzdienst ist der
Beutetrieb, und den erkennt man
unter anderem daran, wie
ausgeprägt der Hund mit
Zerrgegenständen spielt. Wenn
ein Hund noch nicht mal mit
seinem Partner Mensch spielt,
ist er wahrscheinlich für den
Schutzdienst ungeeignet. Jeder
verantwortungsbewusste Figurant
wird den Beutetrieb des Hundes
erst mal testen, bevor er ihn in
die Ausbildung nimmt. Eine
weitere Voraussetzung für den
Schutzdienst ist die mentale
Stärke des Hundes. Beute-, Jagd-
und Spieltrieb sind nur abrufbar
im entspannten Umfeld, also nur,
wenn der Hund sich sicher ist
und keine Gefahr droht. Nur ein
selbstsicherer Hund wird bereit
sein, mit dem Figuranten um die
Beute zu streiten. Gleichzeitig
versucht man im Schutzdienst,
die Hunde in ihrer inneren
Sicherheit weiter zu stärken,
indem man sie im Kampf um die
Beute gewinnen lässt.
Der Aufbau des Schutzdienstes
über den Beutetrieb ist
eigentlich nichts anderes als
ein Spiel mit einer Fremdperson.
Erst viel später kommen
allmähliche Belastungen hinzu.
Beutespiel mit
einer Fremdperson Chacomo von
den Modocs
Mit dem kontrollierten und
richtig durchgeführten
Schutzdienst können wir dem Hund
etwas bieten, das seinem
angeborenen Beutetrieb Rechnung
trägt. Er darf kämpfen, Beute
erobern und vieles tun, was
seinem Naturell entspricht. Wo
sonst kann der Hund heute noch
so herzhaft und kraftvoll
zubeißen? Viele Hunde lieben
diese Auseinandersetzung mit dem
Figuranten.
Aragons „Kampf“ mit dem
Figuranten um die Beute
(Schutzärmel)
Früher dachte man, dass das
Ausleben von Trieben zu ihrer
Herabsetzung führt. Aber auch
wenn die Triebenergie sich nicht
wirklich verbraucht wie man
glaubte, so wird sie doch auf
eine „künstliche" Art
kanalisiert, mit der man umgehen
kann. Das Triebziel des Hundes
ist der Schutzarm, die Beute,
die er tragen und besitzen will.
Und um das zu erreichen,
versucht der Hund seinen Gegner,
der mit ihm um die Beute kämpft,
zu beeindrucken. Es handelt sich
dabei um eine stark
ritualisierte Aggression, die
auf ein Imponieren/Beeindrucken
ausgelegt ist, nicht auf ein
„Beschädigen wollen" des
Figuranten.
Wirklich beißen wird der Hund
bei ordnungsgemäßer
Ausbildung nur in den
Schutzarm. Beim Beuteobjekt
Schutzdienstärmel handelt es
sich um eine Attrappe, die im
Alltagsgeschehen nicht vorkommt.
Das Kämpfen um die Beute und das
Siegen über den Figuranten
erweckt beim Hund in keiner
Weise Aggression gegen den
Menschen. Der Hund „kämpft" mit
dem Figuranten so ähnlich, wie
viele Hundebesitzer mit ihrem
Hund ein Zerrspiel machen. Auch
dabei beißt und knurrt der Hund.
Aber ist er deshalb gleich
aggressiv gegen seinen Besitzer?
Übrigens nutzen zum Beispiel
auch die Führer von
Rettungshunden oder auch
Polizisten mit ihren
Rauschgiftspürhunden den
Beute/Spieltrieb des Hundes für
ihre Arbeit. Im Schutzhundesport
ist das nicht anders. Der Hund
liebt es zu kämpfen, aber er ist
dabei nicht wirklich aggressiv.
Und da die Ausbildung über den
Beutetrieb und Vertrauensaufbau
zum Figuranten erfolgt, weckt
sie keine echten Aggressionen
und kann jederzeit abgebrochen
werden, ohne dass man negative
Folgen befürchten müsste.
Im Unterschied zum einfachen
Zerrspiel handelt es sich beim
Schutzdienst um ein
Beutefangspiel nach klar
vorgegebenen Regeln. Bewegt sich
die Beute, darf der Hund fassen.
Das macht der Hund ganz
instinktiv. Bleibt die Beute
ruhig, hat er von ihr
abzulassen. Die „Beute" ist hier
der Schutzärmel des Figuranten.
Der Hund hat es nur auf diesen
Ärmel abgesehen und nicht auf
den Arm des Figuranten. Selbst
wenn sich die Beute in Form
eines gepolsterten Ärmels am
menschlichen Körper befindet,
sieht der Hund also nicht den
Menschen als Beute an. Gibt ein
Figurant den Ärmel z.B. an einen
anderen Figuranten ab, so
orientiert sich der Hund sofort
um. Nur dieses „Ding", diese
Beute, ist wichtig für den Hund.
Selbst wenn man einen sportlich
ausgebildeten Hund wirklich mit
einem Kommando auf einen
Menschen hetzen könnte, würde
der Hund im besten Fall drauflos
rennen und dann verdutzt vor der
betreffenden Person stehen
bleiben, nach seinem Ärmel
suchen und die Person lediglich
verbellen, um den entgehenden
Frust abzureagieren. Ohne
Hetzärmel ist der Figurant für
den Hund uninteressant. Für ein
gutes und korrektes Verhalten im
Training bekommt der Hund den
Ärmel überlassen und darf ihn
nach beendeter Arbeit als
Belohnung vom Übungsplatz
tragen. Das ist für den Belgier
ein ungeheures Erfolgserlebnis:
„Ich habe um meine Beute
gekämpft und der Stärkere hat
gewonnen!"
Der Beutetrieb ist und bleibt
auch später ursprüngliches
Element des Schutzdienstes. Je
nach Ausbildungsverlauf wird dem
Belgier mit der Zeit die Beute
streitig gemacht
(Beuteblockade), es wird also
Wehrverhalten ausgelöst. Im
Gegensatz zur reinen Arbeit über
den Wehrtrieb wird der Hund aber
mit Erhalten der Beute
befriedigt. Der Figurant
interessiert ihn dann nicht
mehr. Der Figurant reizt den
Hund außerdem durch sein
Imponiergehabe: durch eckige
Bewegungen, groß machen,
anstarren, anpusten oder
-spucken, schreien, Peitschen
knallen, bedrohen (mit dem
Stock), Angriff oder bedrängen.
Dadurch will er das
Imponiergehabe des Hundes
heraufsetzen, von dem er sich
dann im richtigen Moment
beeindruckt zeigt und ihn mit
der Beute belohnt. Der Hund muss
sich seine Beute also
erarbeiten, was auch sein
Durchhalte- und
Durchsetzungsvermögen im
„normalen" Leben stärkt. Im
Gegensatz zum Beutetrieb
unterliegt der Wehrtrieb keiner
Ermüdung und kann immer
abgerufen werden. Der Hund soll
lernen, auch unter erhöhter
Nervenbelastung und Ablenkung
Beute zu machen und darum zu
kämpfen. Gegen Angriffe des
Figuranten soll er sich wehren
und durchsetzen, das gibt ihm
Sicherheit. Der Wehrtrieb muss
aber zwingend wieder in
Beutetrieb kanalisiert werden,
das heißt, der Hetzarm bleibt
das Ziel seiner Bemühungen. Der
Hund lernt, anstelle des
normalen Triebziels des
Wehrverhaltens (Einschüchterung
des Figuranten) Beute zu machen.
Daraus resultiert ein
Wechselspiel zwischen Belastung
und Ruhephasen. Der Belgier
lernt zu unterscheiden, ob er in
einer aggressiven Situation
gefordert wird oder ob er sich
ruhig zu verhalten hat. Je nach
Ausbildungsstand muss der Hund
immer länger auf seine Belohnung
in Form des geliebten Hetzarms
warten. Trotz der hohen Reizlage
muss der Hund jederzeit
im Gehorsam des Hundeführers
stehen. „Aus", „Revieren"
„Seiten- und Rückentransport"
sind Übungen, die das
alltägliche „Hier", „Sitz" oder
„Fuß" bei weitem übersteigen,
denn es ist für den Hund gar
nicht so leicht, erst um mehrere
Verstecke zu laufen, obwohl er
genau weiß, wo der Figurant mit
dem Hetzarm steht. Wenn er
mitten im schönsten „Kampf" den
Ärmel auslassen muss, dann ist
das gegen seinen Instinkt und
erfordert vom Hund sehr viel
Gehorsam und Selbstbeherrschung.
Die Ausbildung, um eine
erfolgreiche
Vielseitigkeitsprüfung zu
absolvieren, dauert je nach
Veranlagung des Hundes Jahre.
Darum wäre Ungeduld ein
schlechter Lehrmeister!
Triebe
Der Begriff Trieb wird heute
kaum mehr verwendet. In der
Verhaltensforschung spricht man
meist von Motivation oder
Handlungsbereitschaft, womit
innere und äußere Antriebe
gemeint sind. Im Gegensatz dazu
hält man in der Kynologie
unbeirrt am Triebbegriff fest
und misst dem Einfluss innerer
Antriebe auf das Verhalten von
Hunden eine zu große Bedeutung
bei. Da diese Begriffe aber
immer noch üblich sind, möchte
ich einige kurz erläutern.
Alle Hunde mit gutem
Kampfverhalten haben einen
ausgeprägten Spiel- und
Beutetrieb. Ohne Beutetrieb
hat der Hund auch keinen
Kampftrieb. Der Beutetrieb ist
dem Jagdtrieb nahe verwandt und
äußert sich im Bestreben,
Beuteobjekte zu fassen,
festzuhalten und zu töten. Auf
dem Hundeplatz möchte der Hund
auch „Beute" machen, also den
Ärmel, eine Beißwurst, ein
Beißkissen oder einen
Lederlappen kriegen. In der
Ausbildung hat er die Erfahrung
gemacht, dass das Beißen in das
Beutestück zum Erfolg führt. Für
ihn ein prima Spiel und kein
Ernst, also bleibt der Hund
trotzdem für andere Kommandos
„offen" und somit
kontrollierbar. Der Beutetrieb
ist schon beim Welpen vorhanden
und prägt sich mit der Reifung
weiter aus. Der Beutetrieb zählt
zu den trainierbaren
Eigenschaften, das heißt, er
kann durch Lernprozesse
gefördert oder gehemmt werden.
Triebziel ist das Fassen und
Tragen der Beute und
anschließende Ruhe mit der
Beute.
Aragons Gesichtsausdruck bei der
Beutearbeit
Der Kampftrieb ist die
ererbte Freude am Kampf an sich,
am lustvollen Gebrauch von
Gebiss und Muskeln um sich mit
einem Rivalen zu messen.
Auslöser für Kampfverhalten ist
das Streitigmachen der Beute.
Der Hund wird durch das
„Beute-Zerr-Spiel" auf ein
höheres Triebniveau gebracht –
er will die Beute unbedingt
besitzen - und wird schließlich
durch das Überlassen der Beute
bestätigt. Das Triebniveau kann
durch viel Zerren gesteigert und
durch weniger Zerren gehemmt
werden.
Eine wesentliche Komponente des
so genannten Kampftriebes ist
das aktive Aggressionsverhalten.
Es ist immer eine soziale
Aggression und ausschließlich
eine Folge von Konkurrenz, d.h.
der Figurant ist der Konkurrent
des Hundes und der Hund lernt,
sich gegen seinen Kontrahenten
durchzusetzen. Im Beutespiel
(Schutzdienst) sieht der Hund
den Figuranten nicht als Feind,
der vernichtet werden muss
sondern als Sozialpartner. Die
Aggression die er einsetzt, um
seinen Sparringspartner zu
beeindrucken (damit ihm dieser
die Beute überlässt), ist somit
beutebezogen. Der Hund hat keine
Angst um sein Leben und hegt
keine Tötungs- oder
Beschädigungsabsicht gegen den
Kontrahenten. Schutzdienst ist
eine ritualisierte
Auseinandersetzung zwischen
Figurant und Hund. Der
entscheidende Punkt ist, dass
diese Aggression sich nicht
gegen den Menschen richtet,
sondern für das Erreichen des
Triebziels, den Besitz der
Beute, eingesetzt wird. Das
unterscheidet den Beute- vom
Wehrbereich. Ein Hund darf
niemals lernen, dass er in
frustrierenden Situationen (z.B.
Schläge mit dem Softstock) mit
Aggression Erfolg haben könnte.
Die Schläge mit einem
Softstock, die in der
Prüfungsordnung vorgeschrieben
sind, dienen lediglich dazu, die
Belastbarkeit des Hundes zu
prüfen.
Der Kampf mit dem Figuranten
darf seinen spielerischen
Charakter nicht verlieren. Der
Hund sollte Freude daran haben,
mit dem Figuranten zu kämpfen.
Dies setzt aber voraus, dass er
sich unbelastet mit dem
Figuranten auseinander setzt und
nicht ständig um sein Leben
kämpft. Ein Hund, der sich
wehrt, setzt meist keinen
vollen, festen Griff und hält
ihn auch nicht, wie es in der
Prüfungsordnung gefordert wird;
er hält mehr Distanz zum
Figuranten, weicht leicht zurück
und setzt meist nur spitze
Griffe. Hunde die allein aus dem
Wehrtrieb heraus den
Schutzdienst absolvieren, müssen
noch lange keinen guten
Kampftrieb besitzen. Sie sehen
keine Veranlassung den
Figuranten zu verfolgen, jedoch
in den Angriffsphasen sind sie
voll da. Indessen haben alle
Hunde mit gutem Kampftrieb einen
ausgeprägten Beutetrieb.
Kampftrieb darf nicht mit dem
Wehrtrieb verwechselt werden.
Unter Kampfverhalten versteht
man das Zerren beim Streitig
machen oder der Bewegung der
Beute. Das Wehrverhalten ist
dagegen eine Reaktion auf eine
direkte Bedrohung des Hundes.
Das Wehrverhalten ist das
Bestreben des Hundes, sich gegen
physische und psychische
Bedrohung oder gegen offene
Aggression zu verteidigen. Das
Ziel dieser
Selbstschutzaggression ist es,
den Bedrohenden einzuschüchtern
und evtl. zu vertreiben. Der
Wehrtrieb ist ständig
aktivierbar und unterliegt nicht
der reizspezifischen oder
aktionsspezifischen Ermüdung wie
der Beutetrieb.
Aragons Gesichtsausdruck bei der
Arbeit im Wehrbereich
Problematisch ist am Wehrtrieb
jedoch, dass man Hunde die mit
dieser Situation überfordert
sind in ein Meideverhalten
bringen kann, also damit gerade
das Gegenteil des Gewollten
erreicht. Es ist Aufgabe des
Figuranten, genau den richtigen
Reiz zu setzen, dass sich der
Hund zwar bedroht fühlt, aber
der Situation gewachsen ist und
sofort Gegenmaßnahmen ergreift,
indem er gegen den Figuranten
erfolgreich kontert. Ein
nervenschwacher Hund kann durch
die Ausbildung über den
Wehrtrieb jedoch leicht zum
Angstbeißer werden. Er befindet
sich in großem Stress, da er
glaubt, sich unter Einsatz
seines Lebens verteidigen zu
müssen. Das wäre für einen VPG -
Schutzhund aber eher
kontraproduktiv. Denn ein
unsicherer Hund im Wehrtrieb ist
nur schwer führbar und wird
seine Aufgaben während des
Schutzdienstes nicht zuverlässig
bewältigen können. Auch
außerhalb des Hundeplatzes wäre
dieser Hund aus seiner
Unsicherheit heraus nur schwer
kontrollierbar. Bedenken sollte
man auch, welch eine verheerende
Auswirkung es für das Vertrauen
des Hundes gegenüber seinem
Partner haben muss, wenn dieser
ihn in eine solch bedrohliche
Situation führt und ihn dann
„allein" lässt.
„Motivation" über Wehrverhalten
ist – wenn überhaupt - eine
Sache nur für sehr erfahrene
Ausbilder. Grundsätzlich sollte
dieses wenig tierfreundliche
Training in der heutigen Zeit
keine zu große
Ausbildungsrelevanz mehr haben.
Was ein Hund von seiner
Erbanlage her nicht mitbringt,
sollte man nicht reinprügeln!
Ein Hund darf nicht als
Sportgerät instrumentalisiert
und missbraucht werden. Die
Ausbildung muss auch dem Hund
Freude bereiten. Heute
werden die Hunde im Schutzdienst
jedoch hauptsächlich über den
Beutetrieb ausgebildet. Ich
finde, Schutzdienst muss ein
Spiel mit dem Figuranten sein
und dieses Spiel sollte immer
der Hund zu seinen Gunsten
entscheiden.
So
sehen Sieger aus
Aragon vom Wildweibchenstein
Schutzdienst allein über
Wehrverhalten ist ein Spiel mit
dem Feuer!